Überlässt eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer (GGf) ein betriebliches Fahrzeug zur Nutzung, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Fahrzeug vom GGf auch für private Fahrten genutzt wird. Dies gilt nach der Ansicht des Finanzgerichts Münster auch dann, wenn die Privatnutzung im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ausdrücklich verboten ist und insbesondere dann, wenn der GGf kein Fahrtenbuch führt.
Das Finanzgericht Münster hat in seiner Urteilsbegründung insbesondere die bisherige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gegenübergestellt:
Sichtweise des I. Senats des Bundesfinanzhofs
Der I. Senat des Bundesfinanzhofs ist bislang davon ausgegangen, dass für die Privatnutzung eines dem GGf von der Gesellschaft zur Nutzung überlassenen betrieblichen Fahrzeugs ein Anscheinsbeweis greift. Danach spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass ein (Allein-)GGf einen ihm zur Verfügung stehenden betrieblichen Pkw auch für private Fahrten nutzt.
Dies gilt auch bei einem im Geschäftsführer-Anstellungsvertrag ausdrücklich vereinbarten Privatnutzungsverbot – und zwar insbesondere dann, wenn
- der GGf kein Fahrtenbuch führt,
- keine organisatorischen Maßnahmen getroffen wurden, die eine Privatnutzung ausschließen, und
- eine unbeschränkte Zugriffsmöglichkeit auf den Pkw besteht.
Sichtweise des VI. Senats
Dagegen vertritt der VI. Senat des Bundesfinanzhofs die Ansicht, dass für lohnsteuerliche Zwecke bereits die bloße Gestattung der Privatnutzung unabhängig von den tatsächlichen Nutzungsverhältnissen beim Arbeitnehmer den Zufluss eines geldwerten Vorteils begründet und der Anscheinsbeweis nicht anzuwenden ist.
Es gibt keinen auf der allgemeinen Lebenserfahrung gründenden Erfahrungssatz, nach dem ein angestellter GGf generell arbeitsvertraglich vereinbarte Nutzungsverbote nicht achtet. Selbst wenn er in Ermangelung einer „Kontrollinstanz“ bei einer Zuwiderhandlung keine arbeitsrechtlichen oder strafrechtlichen Konsequenzen zu erwarten hat, rechtfertigt dies keinen entsprechenden steuerstrafrechtlich erheblichen Generalverdacht.
Beachten Sie: Dass der Arbeitgeber ein arbeitsvertraglich vereinbartes Privatnutzungsverbot nicht überwacht, ändert daran nichts.
Diese Grundsätze hat der VI. Senat des Bundesfinanzhofs auch auf einen alleinigen GGf einer GmbH angewandt.
Sichtweise des Finanzgerichts Münster
Das Finanzgericht Münster hat nun für den Fall eines alleinigen GGf einer GmbH die Rechtsprechung des I. Senats des Bundesfinanzhofs zugrunde gelegt und die Grundsätze des Anscheinsbeweises angewendet.
Den Anscheinsbeweis konnte die GmbH im Streitfall auch nicht mit dem Einwand erschüttern, dem GGf hätte für die privaten Fahrten ein Fahrzeug im Privatvermögen zur Verfügung gestanden. Denn bei den betrieblichen Fahrzeugen handelte es sich um sehr hochwertige und stark motorisierte Fahrzeuge, die mit den „privaten“ Fahrzeugen nicht vergleichbar waren. Darüber hinaus wurden diese Fahrzeuge auch von der Ehefrau des GGf genutzt.
Beachten Sie: Der wegen des Anscheinsbeweises anzunehmenden Privatnutzung lag keine entsprechende Nutzungs- und Überlassungsvereinbarung zugrunde. Vielmehr enthielt die Vereinbarung ein Privatnutzungsverbot. Die private Nutzung durch den GGf war demzufolge nicht durch das Arbeitsverhältnis, sondern durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst und führte zu einer verdeckten Gewinnausschüttung.
Da gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Münster bereits die Revision anhängig ist, darf nun mit Spannung erwartet werden, wie sich der Bundesfinanzhof positionieren wird.
Quelle: FG Münster, Urteil vom 28.4.2023, Az. 10 K 1193/20 K,G,F, Rev. BFH Az. I R 33/23